Impression: Mate-Polonaise mit Eindringlingskaffee
„Einbruch der Dunkelheit“. Na gut, warum nicht mal eine Konferenz mit maximaldystopischem Anklang besuchen? Gedacht, getan.
Auf der Website heißt es einleitend:
Wie sehen politisch emanzipatorische Gegenstrategien zu den Kontrollmechanismen der Sicherheitsgesellschaft aus? Bedarf es einer stärkeren demokratischen Kontrolle von Schutzräumen? Ist das Verlangen nach Privatheit lediglich regressiver Eskapismus oder kann es tatsächlich in die Freiheit führen? Wie sind neue Formen von Privatheit mit digital gestützten Praktiken politischer Partizipation vereinbar? Was sollte man als Bürger tun?
Ambitioniertes Programm also. Wenn sich aber Verfassungsrichter, PhilosophInnen, PolitikerInnen (Jan Philipp Albrecht von den Grünen, Anke Domscheit-Berg und Marina Weisband von den Piraten), CCCler und allerlei andere schlaue Menschen unterschiedlichster Professionen zusammen finden, darf auch mal geklotzt werden.
Leider führte die Vielfalt unter den Berufsbezeichnungen (und Vielfalt wohlgemerkt nur darauf bezogen – 73% der Panelists/ 93% der Redner waren männlich), im Rahmen der Konferenz nicht unbedingt zu einer interdisziplinären Herangehensweise, die ja durchaus begrüßenswert wäre. Stattdessen hatte ich oft – zu oft – den Eindruck, mich in einem Elfenbeinturm mit mehreren hermetisch abgeriegelten Erkern zu befinden.
Nun, angesichts der Panelbeschreibungen war damit durchaus zu rechnen. Schade ist es dennoch. Vor allem, weil mich der Eindruck, dass zumindest ein Teil des Publikums sich konkretere (Handlungs)Ansätze gewünscht hätte, nicht losließ. Der Zynismus sei mir verziehen, doch in einigen Talks wünschte ich mir eine Art Konferenzbuzzwordbingo („Adorno hat gesagt..“, „nach Foucault..“, hier außerdem: „Žižek meint dazu“).
Logisch: einen gänzlichen Verzicht auf Theoreme einzufordern macht wenig Sinn. Was ist aber mit Menschen ohne großartige Erfahrung mit der geisteswissenschaftlichen Soße, die eine solche – noch dazu äußerst erschwingliche – Konferenz besuchen möchten?
Und dann war da auch wieder die heraufbeschworene Dichotomie von „online“ und „offline“. Diesem Thema, an dem sich das Feuilleton ritualistisch alle paar Monate abarbeitet (Können Blogger Journalisten sein? Zerstört das Internet Zeitungen/Bücher/Kindergehirne/die Welt? Oder aktuell: hat Markus Lanz denn verdient, dass der wütende digitale Lynchmob ihn am Schlafittchen packt? (Die Antwort lautet, wie so oft: Ja, aber..) Im nächsten Schritt auch: zerstören Clickbaitseiten „seriöse“ Blogs?), kann ich im Rahmen einer solchen Veranstaltung nichts abgewinnen.
Jacob Appelbaum beantwortete die Frage nach der „richtigen“ Protestform im Übrigen sinngemäß damit, dass es schwierig sei, anderen Untätigkeit vorzuwerfen, während derzeitige konkrete Maßnahmen noch nicht als das probate Mittel gegen die Überwachungsmaschinerie gelten könnten.
Und wenn Anke Domscheit-Berg dann erzählt, dass Menschen in ihren Mails berichten, dass sie Angst davor hätten, Petitionen zu zeichnen, weil sie dann vielleicht nicht mehr in die USA einreisen dürften, halte ich das für ein eklatantes Problem und einen Hinweis darauf, dass die Verunsicherung in Teilen der Bevölkerung so groß ist, dass sie vor einem öffentlichen politischen Engagement welcher Art auch immer zurück schreckt. Ob das nun daran liegt, dass konkrete Fragen nicht beantwortet wurden oder diese Informationen nicht zentral auffindbar sind, kann ich nicht beantworten. Dass aber Handlungsbedarf besteht, wird an dieser Stelle deutlich. Marina Weisband beantwortete Bruce Sterlings Frage nach dem „Und was macht ihr dagegen?“ (bitte in Caps Lock denken, er schrie eher) damit, dass ein multiplikatorischer Ansatz von hoher Bedeutung sei.
Und da sind sie dann auch, die Erkenntnisse aus zwei Konferenztagen.
Eine handliche Materialsammlung oder eine Art erweiterbares FAQ wäre vielleicht ein Anfang. Der Guardian hat Einiges bereits sehr anschaulich aufbereitet. Mehr Jung & Naiv. Mehr „Überwachungsstaat – Was ist das?“.
Weniger Aktivistenpopstarisierung. Das war eine der Forderungen Jacob Appelbaums. Das führe dazu, dass Organisationen wie WikiLeaks über ihre kontroversesten Figuren – Julian Assange – definiert würden, wodurch anderen wichtige Akteuren – Sarah Harrison – die dringend nötige Unterstützung verwehrt bliebe.
Mehr Krypto. Auch wegen der Mehrkosten in der Überwachung.
Mehr Funding für gute Projekte.
Mehr von Urs Stähelis Ausführungen zum aktuellen Fokus auf Introvertiertheit (ausgelöst unter Anderem durch Susan Cain) und Produktivität in offener Büro-Architektur (hier die dazugehörige Studie). Die Aufzeichnung werde ich mir definitiv noch einmal zu Gemüte führen, sobald sie online ist.
Mehr Stimmen:
Gewohnheiten und Gesetze: Wie sieht Selbstermächtigung in Zeiten digitaler Kontrolle aus? (Berliner Gazette)
What Swartz, Lessig, Assange & Snowden Have to Teach Us (Der Talk von Micah L. Sifry)
Komisch (Netzkulturen)
Bruce Sterling will Deutschland in der NSA-Affäre wachrütteln (heise)